Leider gibt es in der Praxis einige Hundepatienten, die
enorme Angst vor mir bzw. vor der Praxis haben. Zum Glück sind das nicht allzu
viele. Die meisten kommen mehr oder weniger willig herein und lassen sich untersuchen und behandeln. Nun kommen auch viele meiner Bekannten und Freunde mit ihren Tieren zu
mir und da ist es auffällig, dass da die meisten nur in der Praxis Angst vor mir
haben, privat bei uns zuhause, oder bei den Besitzern zuhause aber nicht. Ich
kann das ganz gut nachvollziehen, ich sehe meinen Zahnarzt auch lieber privat
als dienstlich ;-)
Es gibt da aber eine Ausnahme, die wirklich extrem ist. Roca
ist eine stattliche Berner-Sennen-Hündin. Ich kenne die Gute, seit sie vor 4
Jahren als Welpe zum ersten Mal zur Impfung bei mir war. Herrchen und Frauchen
kenne ich schon seit fast 13 Jahren; unsere Töchter sind gleich alt und haben
schon gemeinsam den Krabbelkreis besucht. Sehr zu Rocas Bedauern sieht man sich
also auch immer mal privat.
Im Gegensatz zu den meisten Patienten, die mich privat
behandeln wie jeden anderen Menschen auch, ist Roca da doch etwas speziell.
Sie sieht mich, weicht sofort zurück und zieht sich entweder in ihr Körbchen im
Haus, oder in ihre Hundehütte im Hof zurück. Bis ich gehe, bleibt sie dort und
kommt erst wieder raus, wenn ich endlich gehe. Wenn ich sie irgendwo anders
treffe, dann hält sie stets soviel Abstand zu mir ein wie die Leine reicht,
und schaut, dass Herrchen oder Frauchen stets zwischen uns stehen. Da hilft
alles Schmeicheln und Locken nichts, und selbst Leckerchen können sie da kaum
beeindrucken.
Aber ... und jetzt kommt’s: letztes Jahr gab es zum Jubiläum unserer Großgemeinde ein tolles Fest am Wölfersheimer See. Gleich drei Tage lang
haben große und kleine, junge und alte, und eben auch zweibeinige und vierbeinige Wölfersheimer gefeiert. Bei einer der Feiern saß ich auf einem Podest,
als zwei befreundete Familien mit ihren Hunden vorbei kamen. Die eine Hündin war
Roca, die andere Raki. Raki hat auch Angst vor mir in der Praxis, aber auch nur
in der Praxis, sonst mag sie mich ganz gerne und ist sehr verschmust. Sie kam
auch dieses mal gleich und ließ sich kraulen. Roca dagegen hatte sich taktisch
hinter Herrchen versteckt. Mein Mann brachte mir ein Bratenbrötchen. Schnell
verbreitete sich der köstliche Duft und siehe da: Roca kam vorsichtig näher.
Als sie bis auf zwei Schritte an mich herangekommen war, machte sie einen
gaaaaanz langen Hals und schnuffelte vorsichtig in Richtung meines
Bratenbrötchens. "Aha", dachte ich mir! Die Besitzer waren einverstanden und so
habe ich ihr einen kleinen Bissen abgegeben. Mhhhm, das hatte wohl gut
geschmeckt, denn sie kam gleich näher und setzte sich vor mich. Sie hat immer
weiter das Bratenbrötchen hypnotisiert, oder war es umgekehrt und das
Bratenbrötchen hat Roca hypnotisiert? Ich konnte sogar ihren Kopf streicheln. Wir
lachten alle. Dann aß ich erstmal meinen Mittagsschmaus und die letzten beiden
Bissen teilte ich dann unter den beiden Damen auf. Raki fand das zwar auch
lecker, war aber eher an den Streicheleinheiten interessiert. Kaum war das
leckere Bratenbrötchen verschwunden, war der Bann leider gebrochen und Roca zog
sich wieder hinter Herrchen zurück.
Vorgestern am Ostermontag habe ich Roca wieder mal gesehen. Ich
war gerade im Hof, als die Familie mit ihr am Haus vorbeilief. Roca wechselte
spontan die Straßenseite und ging ganz dicht an den gegenüberliegenden Häusern
vorbei, immer nervös über die Straße schauend. Klar haben wir erstmal gelacht und dann haben wir uns an das
Bratenbrötchen erinnert. Für solche Fälle sollte man immer eines in der Tasche
haben. Oder die Besitzer müssen eines
mitbringen. In diesem Fall stammte das übrigens wirklich ausserordentlich leckere Bratenbrötchen nämlich von dem
Italiener, der sein Ristorante gleich bei den Besitzern um die Ecke hat.