Mittwoch, 21. Januar 2015

Mein Hund hat Krebs und jetzt?


Tja, auch ein Tierarzthund ist leider nicht davor gefeit, krank zu werden, und auch die richtig ernsten Krankheiten machen nicht halt vor der Praxistür: Mein Hund hat Krebs, genauer gesagt ein sog. "multizentrisches Lymphom". Was ist das, fragen Sie sich jetzt sicher? Nun, das ist vereinfacht ausgedrückt eine Krebserkrankung der Lymphknoten. Die weißen Blutkörperchen in den Lymphknoten entarten und vermehren sich unwillkürlich. Multizentrisch heisst es deshalb, weil die Erkrankung das gesamte Lymphknotensystem betrifft, obwohl oft erstmal nur ein einzelner Lymphknoten vergrößert erscheint. Lymphknoten gibt es fast überall im Körper, am Hals, im Hals, an der Lunge, am Darm, zwischen Muskelbäuchen etc. Und weiteres Lymphgewebe im Rachen, im Darm uvm. Das Lymphom ist sehr ernst, denn wenn es nicht schnellstens mit einer effektiven Chemotherapie behandelt wird, hat der Hundepatient nur noch durchschnittlich (tja, es ist wie so häufig alles eine Frage von Statistik) 4 Wochen zu leben, bis der Krebs ihn so geschwächt hat, oder die Atmung, Verdauung o.Ä. behindert, dass er eingeschläfert werden muss. Es gilt also, schnellstens zu handeln.

Bei unserem "Jockel" ist die Erkrankung hochwahrscheinlich ein familiäres Problem, denn einer seiner Brüder ist im letzten Jahr an derselben Erkrankung gestorben. Aus diesem Grund habe ich Jockels Lymphknoten auch seither alle 2 Wochen durchgetastet, um Veränderungen möglichst früh zu bemerken, was sich jetzt als richtig erwiesen hat.

Aber wie kam es zu der Diagnose:
Letzten Montag habe ich beim Baden links am Hals (ungefähr da, wo der Kehlkopf sitzt) eine Zubildung gefühlt. Gleich war ich alarmiert und am nächsten Morgen haben wir die Zubildung mit Ultraschall untersucht und eine kleine Zellprobe daraus entnommen, das nennt man eine "Feinnadelaspiration" bei vielen Zubildungen kann der Zytologe aus diesen wenigen Zellen, die man mit einer feinen Kanüle aus der Zubildung herauszieht (was übrigens ohne Narkose geht) sagen, um welche Art von Wucherung es sich handelt. So auch hier - am Mittwoch war der Befund schwarz auf weiß da: Lymphom!

So harmlos sieht ein lebensgefährlicher Tumor aus
Sofort habe ich bei den ehemaligen Kollegen in der Inneren Abteilung der Klinik für Kleintiere einen Termin gemacht und bis dahin schonmal eine eingehende Blutuntersuchung durchgeführt. Dabei geht es darum, herauszufinden, inwieweit innere Organe bereits durch den Krebs befallen sind. Es kommt zum Beispiel häufiger vor, dass die Blutbildung im Knochenmark beeinträchtigt ist, aber auch Organschäden in Leber, Niere etc. sind möglich. Da bei Jockel in den letzten Tagen auch ein etwas stärkerer Durst aufgefallen war, haben wir auch den Urin untersucht und weitere Tests im Blut durchgeführt. So einen stärkeren Durst nennt man Polydipsie/Polyurie (mehr Trinken/mehr Urin) und das ist generell ein absolutes Alarmzeichen. Es kann Hinweis sein auf Diabetes, auf Hormonerkrankungen (z.B. Morbus Cushing), auf Hyperkalzämie (Begleitphänomen bei manchen Krebserkrankungen), Entzündungen im Körper uvm. Erfreulicherweise sind dort keine weiteren Auffälligkeiten zu bemerken gewesen.

Dem kleinen Kerl geht es indes gut, er wirkt völlig normal wie immer. Als Besitzer steht man aber da und ist wie vor den Kopf geschlagen. Krebs kommt mir immer wieder vor wie ein Meteoriteneinschlag. Eben war noch alles in Ordnung und von einem Moment zum nächsten ist alles Chaos und Trauer. Auch in meiner Familie waren wir alle unglaublich traurig, denn unser Jockelchen ist doch erst 9 Jahre alt und bei Westies kann man schon von einer höheren Lebenserwartung ausgehen. Doch was hilft alles Jammern - jetzt ist ein kühler Kopf gefragt. "Kopf in den Sand stecken" gilt nicht.

Am Freitag hatte ich meinen Termin bei der für onkologische (Krebs-) Patienten zuständigen Kollegin in der Uni Giessen. Den Ausflug nach Giessen fand unser kleiner Liebling ganz toll, im Wartezimmer hat er zwei neue Hundefreunde kennengelernt, das ganze Gelände duftete ganz toll - er musste alle 3 Meter das Beinchen heben - und auch die beiden Kolleginnnen, die sich um ihn kümmerten, fand er gleich voll sympathisch. In der Klinik wurde Jockel nochmal gründlich untersucht, auch die Kollegin konnte keine weiteren Probleme aufdecken, die Urin- und Blutuntersuchungen wurden geprüft und dann haben wir die Möglichkeiten einer Chemotherapie durchgesprochen.

In der Praxis haben wir schon gelegentlich Patienten, die entweder an der Uni Giessen oder in der privaten Tierklinik in Hofheim Chemotherapien erhalten. Wir sind es durchaus gewohnt, die immer vorher notwendigen Blutbildtests vorzunehmen und Kontrolluntersuchungen  vorzunehmen. Die eigentliche Chemotherapie überlassen wir dabei allerdings den Spezialisten, denn Krebs hat ganz unterschiedliche Erscheinungen und genauso unterschiedlich sind die Möglichkeiten (OP, Bestrahlung, verschiedenste Medikamente im Rahmen von Chemotherapien). Da ist viel Erfahrung und eine Menge spezielles Know-How erforderlich, um für jeden Patienten die richtige Therapie zu empfehlen.


Da war noch alles ok
So konnte es dann gleich losgehen. Jockel bekam über einen Venenkatheter das erste Medikament direkt in die Blutbahn und gleich ein zweites unter die Haut gespritzt. Außerdem bekommt er noch täglich Kortison-Tabletten und einen Magenschutz. Oh Gott, eine Chemotherapie, der arme Hund, denken Sie jetzt vielleicht. Da leidet er ja unnötig. Das stimmt so natürlich nicht. Niemals würde ich meinem Hund unnötige Leiden zufügen. Natürlich können Chemotherapiemedikamente auch Nebenwirkungen haben. Zumeist vertragen Hunde eine Chemotherapie aber dtl. besser als wir Menschen. Jockel bekommt eine sog. modifizierte Chemotherapie nach dem "Madison-Wisconsin-Protokoll". Das ist eine Kombination mehrerer verschiedener Wirkstoffe. Die Kur wird voraussichtlich 25 Wochen dauern und wir hoffen jetzt, dass er alles gut verträgt und die Chemo gut anschlägt. In den ersten Tagen nach der ersten Chemo ging es ihm jedenfalls supergut, und man fühlt auch schon, dass der "Monster-Lymphknoten" sich zurückbildet. Natürlich kann es immer noch sein, dass er ein Medikament nicht verträgt und wir die Chemo abbrechen müssen, aber einen Versuch ist es allemal wert. Unter Therapie liegt die mittl. Überlebenszeit (bei GUTEM Allgemeinbefinden) nämlich bei 1 Jahr, rel. häufig sogar bei 2 Jahren und in Einzelfällen sogar bei bis zu 4 Jahren. Wenn das kein lohnendes Ziel ist! Eine Garantie kann einem natürlich niemand geben.

Eine harmlose Nebenwirkung der Chemotherapie, und zwar genauer gesagt des in der Kombination enthalten Cortisons, haben wir dann aber doch schon bemerkt. Am Samstag Abend saß die Familie vor dem Fernseher und hat einen Film auf DVD geschaut. Jockel lag neben mir auf dem Sofa und war auf der Seite liegend eingeschlafen, während ich seinen Bauch kraulte. Auf einmal wurde es merkwürdig warm und nass an meinem linken Oberschenkel. Tja, da hatte er im Schlaf den Urin einfach laufen lassen. Cortison macht nämlich einen ungeheuren Durst und da ist die Blase im Null-Komma-Nix prallvoll, entsprechend muss der Patient sehr viel häufiger mal raus. Wäre auch nicht so wild, wenn er nicht so tief und entspannt geschlafen hätte ;-) In all dem Unglück Grund genug für uns alle, mal herzhaft zu lachen, geschimpft hat natürlich keiner, er konnte ja nichts dafür. Zum Glück ist das Sofa ein Ledersofa, und so war der Schaden schnell behoben. Ich habe mich umgezogen und der Hund sich im Hof nochmal entleert, und dann konnten wir weiterschauen.

Und das ist auch genau das war wir jetzt tun werden: schauen wir mal, wie er die Therapie verträgt und hoffen wir das Beste für ihn. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Mai 2015 - Aktuelle Info - wie geht es?  

Inzwischen läuft die Chemotherapie seit 17 Wochen und ich kann folgendes berichten: Erstmal die Antwort auf die Frage "Wie geht es Ihrem Hund?" nämlich das, was mich die Meisten fragen: "SEHR GUT, ist die Antwort!"

Zur Verträglichkeit kann ich erzählen, dass er in den allerersten Wochen an den ersten Tagen nach der Chemo etwas müder war, und auch zweimal brechen musste, das war aber mit einem Anti-Brechmittel gut zu kontrollieren und er hat auch weiter gefressen. Als Nebeneffekt der Chemo hatte er durch die Suppression (Hemmung der Aktivität) des Knochenmarks in den ersten Wochen eine leichte Blutarmut und es kam auch zum Absinken der Entzündungszellen. Seine neutrophilen Entzündungszellen waren aber glücklicherweise immer im Normbereich, wenn auch im unteren. Wenn die zu stark sinken (sog. Neutropenie) ist das Immunsystem nämlich zu stark geschwächt und der Patient wäre für jegliche Infektion zu anfällig, daher muss dann die Therapie unterbrochen werden, bis die Werte wieder in einem akzeptablen Bereich liegen, was sich dann negativ auf den Behandlungserfolg auswirken kann. Seit vielen Wochen aber sind die Anfangsprobleme nun vorüber und er verträgt alles super! Man merkt ihm nun gar nichts mehr an und auch die 1100 Gramm Gewichtsverlust vom Anfang hat er lange wieder aufgeholt.


Die erkrankten Lymphknoten haben sich unter der Behandlung völlig zurückgebildet und wir sind jetzt berechtigt guter Hoffnung, dass das lange Zeit auch so bleiben wird.  Das ist übrigens leider nicht immer der Fall. Ein Patient der mit uns zusammen die Behandlung angefangen hat musste bereits mehrmals pausieren, weil seine neutrophilen Entzündungszellen zu niedrig waren und er hat auch nur eine unvollständige Rückbildung der Lymphknoten erreicht. Das Allgemeinbefinden des Patienten ist aber auch sehr gut und inzwischen verträgt sein Immunsystem die Medikamente nun auch besser, so dass die Behandlung nun wieder "nach Plan" erfolgen kann. Bei nur vier Wochen durchschnittlicher Lebenswerwartung nach Diagnose ohne Behandlung, sind wir jedenfalls beide schon gut im Plus - wir haben schon drei ganze Monate gewonnen! Auch die Besitzer des anderen Patienten werten die Behandlung als lohnend, wenn sie auch leider sehr teuer ist.

Eine kleine Nebenwirkung ist aber doch noch zu bemerken: der Bart ist ab, unser Hund hat einen völlig neuen Look, denn er hat Haarausfall! Westies gehören ja zu den Rassen, deren Fell ständig wächst und daher ja auch regelmäßig geschoren oder getrimmt wird. Bei vielen Hunderassen ist das Haar ja immer gleichbleibend lang! Diese haben auch kaum Probleme mit Chemotherapie bedingtem Haarausfall, deren Fell wird nur insgesamt etwas schütterer, und langer Behang z.B. am Schwanz wird kürzer. Bei Jockel aber ist nun besonders am Kopf und Hals, an den Beinen und am Schwanz das lange Fell komplett aufgefallen und er trägt jetzt eine sommerliche Kurzhaarfrisur. Dadurch hat sich der Gesichtsausdruck völlig verändert, er schaut jetzt aus wie ein Mini-Schäferhund. Das war für die ganze Familie schon etwas gewöhnungsbedürftig. Und neu war auch, dass er jetzt überhaupt haart, was diese Rasse normalerweise ja auch so gar nicht tut, also nach dem Kuscheln Klamotten enthaaren, Sofa absaugen ..., aber das st natürlich völlig nebensächlich, denn unser Liebling lebt und das sehr fröhlich. Das Ganze hängt übrigens daran, dass das Haar in der Wachtumsphase (sog. telogene Phase) sensibel auf Chemotherapiemedikamente reagiert und eben ausfällt (sog. telogenes Effluvium), das kennen wir ja von menschlichen Chemotherapien.
So sah er im Januar 2015 aus ...

... und so im Mai 2015! Neuer Look - der Bart ist ab!
Jetzt geht die Therapie erstmal noch bis zur Woche 25 und dann ist Pause angesagt. Weitere Infos folgen...