Freitag, 29. März 2013

Immer am Wochenende?

Eine Passionsgeschichte

Manchmal wurndern wir uns in der Praxis doch etwas über die Ausdauer mancher Besitzer. Ich meine damit aber NICHT, dass die Leute besonders ausdauernd in der Behandlung und Pflege ihrer kranken Tiere sind, sondern ganz im Gegenteil damit, diese Krankheiten z.T. völlig zu ignorieren.

Letztens wieder erfolgte Samstag vormittags gegen 10:30 Uhr ein Anruf, die Katze des Ehepaares fresse gar nichts und sei auch sehr schlapp. Das klingt natürlich dringend, also wurde der vermeintlich akute Fall in die ohnehin volle Sprechstunde einbestellt. So etwas kann schlecht warten - da müssen dann leider alle anderen Patienten Rücksicht nehmen.

In der Praxis angekommen, berichtet Frauchen dann, die Katze hätte die ganze Woche schon nichts gefressen, und auch die Woche vorher nicht so richtig! Ohhh! Da Herrchen in der letzten Woche krank war, dachte sie erst noch, das liege daran, denn er füttere normalerweise die Katze. Hmmmh, und diese Woche? Sie sei auch die letzten Tage kaum aufgestanden, breche immer mal und heute habe sie so komischen Schleim am Maul. Im nächsten Atemzug sagt die ältere Dame noch: "Ich weiß nicht, bei UNS ist sowas aber auch immer am Wochenende!" Mir steht kurz der Mund offen, bevor ich mich fangen kann. Als erstes schießt mir nämlich eine Entgegnung durch den Kopf, die ich nur mit Mühe herunterschlucken kann: "Wie ... immer am Wochenende? Wenn man fast zwei Wochen lang die kranke Katze anschaut und wartet, bis das Wochenende kommt, dann ist das wohl so." Aber wie gesagt, ich konnte es doch noch herunterschlucken, sage lieber erstmal gar nichts und widme mich der armen Katze.

Die Katze wird untersucht. Sie rührt sich fast gar nicht mehr, hat pappigen Schleim am Maul, der leicht bräunlich-blutige Schlieren enthält. Im Maul sind großflächige Wunden zu sehen. Die Unterhaut enthält fast gar keine Flüssigkeit mehr, man kann die Katze fast wie eine Knetfigur zurechtkneten - d.h. sie ist sehr-sehr-sehr stark ausgetrocknet. Die Augen liegen tief und sind glanzlos, alle Schleimhäute pappig. Die Katze ist bis auf die Knochen abgemagert und hat fast keine Muskeln mehr. Ohhhhh jeeeeh! Das sieht sehr schlecht aus und vor allem alles andere als akut. So etwas ist - sicher auch für Sie als Laien einsichtig - ein typisches Bild einer chronischen und zehrenden Erkrankung. Nur was ist es? Und noch wichtiger: besteht noch Hoffnung für die Katze?

Eine Blutuntersuchung brachte uns da innerhalb von 15 min. traurige Gewissheit. Die Katze litt vermutlich seit Monaten unter einer schleichend verlaufenden Nierenunterfunktion und hat sich allmählich selbst mit nierenpflichtigen Stoffen innerlich vergiftet. z.B. Harnstoff, der als Abfallprodukt des Eiweißstoffwechsels entsteht und über die Nieren ausgeschieden werden muss, reichert sich dann zunehmend im Blut an. Zunächst versucht der Körper dies durch verstärkten Durst auszugleichen und soviel Harnstoff wie möglich mit dem Urin über die Nieren auszuspülen. Dies gelingt nur bedingt, irgendwann wird auch ein großer Teil des Harnstoffs über die Schleimhäute (Maul, Magen, Darm) ausgeschwitzt und dieser zersetzt sich dann zu Ammoniak. Ammoniak ist ein Reizgas, das die Schleimhaut zerstört, es kommt zu Ulzerationen (Wunden). Die Patienten können nicht mehr fressen. Außerdem führt der Harnstoff im Gehirn zu einer Dämpfung und Apathie, auch werden Chemorezeptoren gereizt, die Erbrechen auslösen.

Im Fall dieser Katze waren wohl schon etliche Tage alle Kompensationsmechanismen des Körpers erschöpft, und die Katze siechte im Endstadium der chronischen Niereninsuffizienz dahin. An dem besagten Samstag waren die Nierenwerte jedenfalls sehr-sehr-sehr weit über dem Normalbereich und kaum noch meßbar. In solchen Fällen sind Therapieversuche leider sinnlos. Man kann nur noch das Leiden verkürzen. Was wir dann auch getan haben. Schade; vor ein paar Wochen, hätte man der Katze vielleicht mit Infusionen noch soweit helfen können, dass sie mit einer speziellen Nierendiät noch ein paar Monate hätte gut leben können.

Menschen, die zu solch extrem starken Verdrängungsmechanismen neigen, wie das oben beschriebene Ehepaar, sollten vielleicht lieber keine Verantwortung für das Wohl eines Tieres übernehmen. Sie denken jetzt vielleicht, na ja, solche extremen Einzelfälle gibt es schonmal. Ich muss aber leider feststellen, dass das bei uns in der Praxis ca. einmal im Monat so oder so ähnlich vorkommt. Dieses Jahr im März hatten wir gleich 3 (!) solcher Fälle zu beklagen. Das nagt dann schon auch an uns, und stellt unser ganzes Selbstverständnis als "Helfer" der Tiere in Frage. 


Daher jetzt meine inständige Bitte an Sie: Im Namen Ihrer Katze (oder auch Ihres Hundes, Ihres Kaninchens oder, oder ...) bitte, bitte, bitte achten Sie besonders bei Ihrer älteren Katze darauf, wieviel sie trinkt (mehr als früher ist ein ALARMZEICHEN, das nennt man Polydipsie), ob ihr Appetit nachlässt, ob sich ihr Verhalten ändert und ob sie dünner wird (auch das ist meist nicht einfach altersbedingt). Im Zeifelsfall gehen Sie mit ihr zu Ihrem TIerarzt. Dort erhalten Sie mit wenig Aufwand Gewissheit und oft kann noch sehr gut geholfen werden. Es gibt da durchaus verschiedene Erkrankungen, die unter Behandlung z.T. eine recht gute Prognose haben, und Ihre Katze kann mit guter Lebensqualität noch eine ganze Weile länger leben. Aber irgendwann ist dieser Zug abgefahren, und dann ist es schlichtweg zu spät für medizinische Hilfe. Und das liegt dann nicht am Schicksal, am Tierarzt, an der Katze oder an sonstetwas sondern einzig und allein an der Ignoranz des Besitzers :-(

Franz von Assisi (1182 - 1226) schrieb dazu:


"Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, 
alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir. 
Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, 
also sind sie uns gleich gestellte Werke des allmächtigen Schöpfers 
- unsere Brüder." 

Handeln Sie danach, nehmen Sie die Verantwortung, die Sie für Ihr Tier übernommen haben, ernst. Achten Sie auf Zeichen mangelnden Wohlbefindens. Unsere Haustiere leiden stumm. SIE sind dafür verantwortlich, ihr Leiden zu erkennen und danach zu handeln. Wegschauen hilft nicht.

Ich bin Tierarzt, kein Abdecker! Mein höchstes Ziel ist es, Leben zu bewahren und verloren gegangene Lebensqualität wiederherzustellen. Oftmals kann ich das, Sie als Besitzer müssen mir aber die Gelegenheit dazu geben. Wundersame Heilung Todkranker hat es bislang nur einmal gegeben, und das ist 2000 Jahre her. Heute an Karfreitag ist der Todestag dieses "Wunderheilers" - daher mein persönliches Karfreitagsgebet:

"Lieber Jesus, 
sei auch bei meinen tierischen Patienten, 
gib, dass ihre Besitzer ihre Verantwortung erkennen, 
und das Wohl der hilflosen Kreaturen im Blick behalten. 
Erbarme Dich über diejenigen Tiere, 
die nicht das Glück haben, 
einen verantwortungsbewussten Besitzer gefunden zu haben.
Und schließlich: Hilf mir, ihnen allen zu helfen. 
Amen"

"Ruhe sanft, kleine Katze!"
Karfreitag-Parament unserer Berstädter Kirche

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